Der Mäuserich saß am Tisch der Waldschenke, hielt eine Haselnußschale
voller Wein in der Hand und erzählte von den Sternen. Sein Hut saß
ihm schon ein wenig schief auf dem Kopf, ganz so, als hätte er den
Boden der Nußschale schon öfter gesehen, aber über die
Sterne wußte er wirklich wundervolle Sachen zu erzählen.
"Was weiß der schon von den Sternen?" dachte sich der Fuchs.
"Wenn die Giraffe erzählen würde, das wäre was, die ist
viel näher an den Sternen dran. Aber diese schäbige Maus! Die
kann ja kaum aus den Gräsern hervorgucken!" Und er fragte ihn: "Woher
weißt du das so genau?"
"Mach keine Witze" sprach der Mäuserich verwundert, "hast du nie
davon gehört, daß ich jahrelang bei den Sternen gewohnt habe?"
"Hätte ich das wissen sollen?" sagte der Fuchs kleinlaut; und
die anderen, der Eichkater, der Dachs, der Marder, das Wiesel, das Reh,
der Hirsch fielen ein: "Klar, du Trottel, es gibt noch viel mehr, was du
wissen sollst!" Der Fuchs zog den Schwanz ein und fragte so leise, daß
es die anderen nicht hören konnten, den Dachs, der neben ihm saß:
"Von wem hätte ich das hören sollen?" - "Du Blödmann, natürlich
vom Mäuserich selbst" sagte der Dachs und sah den Unwissenden voller
Geringschätzung an. "Aha" knurrte der Fuchs und sah katzenfreundlich
und mit zusammengekniffenen Augen hinüber zum Mäuserich.
Der Mäuserich machte es sich bequem, als habe er gerade erst angefangen
zu erzählen und sagte: "Also zu den Sternen fällt mir noch ein..."
Hier blieb er stecken, denn sein Blick irrte zum Fenster, und er betrachtete
die Sterne.
"Das fällt mir ein, daß..." sagte der Mäuserich schön
langsam, um Zeit zu gewinnen, denn in Wirklichkeit war ihm eingefallen,
wie die holde Herrin Frau Maus, das liebe Eheweib, wieder schimpfen würde,
wenn er so spät nach Hause kommt.
"Das fällt mir ein" sagte er noch einmal, "daß ich jetzt
eine wichtige Verabredung habe. Ich muß laufen." Er klopfte auf die
Theke, winkte dem Wildschwein, daß es die acht Haselnußschalen
bei den übrigen anschreiben sollte; das Wildschwein war nämlich
der Wirt.
Unterwegs fiel ihm ein, daß er noch ein Geschenk für die
Ehefrau bräuchte, damit sie keinen Krach schlägt. Er sah zwischen
den Büschen eine Glockenblume, lief hin und riß sie ab, dann
nahm er sie unter die Achsel. Er wollte schon zurück auf den Weg gehen,
da hörte er ein Winseln aus dem Dickicht. "Was kann das wohl sein?"
grübelte er und ging der Stimme nach. Auf einmal hörte er das
Winseln gleich unter seinen Beinen und sah nach unten.
"Na so was" dachte er, "eine Wolfsgrube." Und gleichzeitig bemerkte
er auch den Wolf darin. Dort in einer Ecke der Grube kauerte er, sogar
im Dunkeln konnte man sehen, wie ihm die Tränen über die Backen
liefen. Er wimmerte.
"Ach du? Ist dir jemand auf die Füße getreten?" fragte der
Mäuserich.
"Behalt deinen Spott für dich, du Widerling" stöhnte der
Wolf, "das kannst du jetzt, wo's mir so geht!"
"Ich spotte ja gar nicht", sagte der Mäuserich, "nur verstehe
ich nicht, wieso du wimmerst. Bist du vielleicht krank?
"Bist du blind?" wetterte der Wolf.
"Im Gegenteil. Ich habe sehr gute Augen. Aus fünf Kilometer
Entfernung kann ich die Mücken in der Abenddämmerung tanzen sehen."
"Dann siehst du mich vielleicht auch!"
"Sicher" sagte der Mäuserich, "du bist heruntergesprungen, und
jetzt wimmerst du."
"Heruntergesprungen, heruntergesprungen! Du bist nicht bei Sinnen!
Schön blöd wäre ich, in eine Wolfsgrube hineinzuspringen.
Reingefallen, Brüderchen, reingefallen bin ich! Und das ist mein Ende"
fügte er traurig hinzu und fing von neuem an zu heulen.
"Was brüllst du so" rief der Mäuserich zornig, "Warum springst
du nicht raus?"
"Hier heraus? lachte der Wolf bitter. "Hier heraus kann keiner springen.
Schau nur, wie hoch die Wände der Grube sind!"
"Wozu soll ich da runtergucken, ich hab das schon mehrmals gesehen"
sagte der Mäuserich abschätzig, "nachgemessen habe ich sie auch,
fünf Meter zwanzig im Ganzen. Kleinigkeit."
"Wann hast du das gesehen?" fragte der Wolf mißtrauisch.
"Ja, als ich runtergesprungen bin, um nachzusehen, wie der Boden ist."
"Runtergesprungen?"
"Klar" sagte der Mäuserich, "wie hätte ich sonst gesehen,
wie der Boden ausschaut."
"Und wie bist du rausgekommen?"
"Was für eine Frage. Eben herausgesprungen."
"Du bist hier herausgesprungen?"
"Wie ein Floh!" sagte der Mäuserich. "Tatsächlich habe ich
mein Leben lang Sport getrieben, zweimal habe ich den Waldwettlauf gewonnen,
du dagegen hattest nur im Sinn, dir den Wanst zu füllen. Aber
vielleicht gelingt es dir auch. Dir hilft dabei, daß du ein ganz
klein wenig größer bist als ich."
Der Wolf fing darauf wie wild an herumzuspringen, doch er kam kaum
höher als bis zur Hälfte der Wand.
"Laß das" rief die Maus dazwischen, "so schlampig geht das nicht.
Erst läufst du zum Aufwärmen fünf Runden, dann rennst du
soweit es der Graben hergibt dagegen, und springst dann mit aller Kraft.
Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, ruhst du dich ein bißchen aus,
dann probierst du es zum zweiten Mal. Mir ist es auch erst beim fünften
Mal gelungen.
"Es wäre besser, wenn du hinunterkommst und es mir zeigst" knurrte
der Wolf.
"Dazu habe ich leider keine Zeit" sagte der Mäuserich eilig, "aber
wenn du morgen noch hier bist, komme ich runter und zeige dir wie's geht.
Also gute Nacht. Und vergiß nicht! Springen, ausruhen, springen!"
Und damit ging er davon, aber er hatte nichts weniger im Sinn, als
nach Hause zu gehen. Er schob sich auf die nächste Baumwurzel und
blickte in Richtung Grube. Er hörte das Geräusch von eiligen
Schritten. "Aha" dachte er, "jetzt läuft er die fünf Runden."
Ein wenig später Hopsen, Rutschen, Klatschen. "Tja, das hat nicht
geklappt" meinte der Mäuserich traurig. Beim dritten Mal aber bekam
der Wolf den Rand der Grube mit den Vorderläufen zu fassen. Dann war
es für ihn ein leichtes herauszukommen.
"Na eben, man muß nur springen" freute sich der Mäuserich,
dann fing er an, sich zu ärgern: "So ein Mist, ich hätte gleich
dazulügen sollen, daß ich schon beim zweiten Mal herausgekommen
wäre, jetzt wird dieser Wolf überall herumerzählen, daß
es ihm beim zweiten Mal gelungen ist und mir erst beim fünften Mal."
Der Wolf war inzwischen schon aus der Grube draußen.
Der Mäuserich nahm die Glockenblume wieder unter die Achsel und
schlug die Richtung nach Hause ein. Doch an diesem Abend hatte er mit dem
Heimkommen kein Glück, denn bei der nächsten Ecke, als er schon
anfing, vor sich hinzupfeifen, rief jemand: "Puh, habe ich mich erschrocken!"
Der Mäuserich stand wie vom Blitz gerührt, suchte Schutz
unter einem großen Blatt und fragte von dort: "Vor wem hast du dich
erschrocken?"
"Vor dir" antwortete mit erstickter Stimme der Unbekannte. Der Mäuserich
sprang sofort unter dem Blatt hervor und warf sich in die Brust. "Das wundert
mich nicht" sagte sie, "einmal habe ich einen Elefanten zu Tode erschreckt.
Ein ziemlich furchterregendes Äußeres habe ich, nicht wahr?
Und wer bist du?"
"Ich bin es" sagte der Widder und linste aus einem Weißdornbusch
hervor. "Und dein Äußeres finde ich gar nicht furchterregend,
nur dachte ich der Fuchs kommt. Der pfeift nämlich so."
Der Mäuserich war etwas mißgestimmt, daß der Widder
sein Äußeres nicht furchterregend fand, und fragte nur aus Höflichkeit:
"Warum fürchtest du dich vor dem Fuchs?"
"Weil er mich verprügeln will. Schon eine Woche verstecke ich
mich vor ihm" wimmerte der Widder. "Du weißt selbst, wie stark er
ist und was für gefährliche Zähne er hat."
"Was du von seiner Stärke sagst, stimmt, aber mit seinen Zähnen
kommt er nicht halb so weit, wie ich mit meinen" sagte der Mäuserich
und klopfte mit der Kralle seines Zeigefingers auf seine spitzen Zähne,
"aber stark, pfh, das ist lächerlich. Ich bin viel kleiner als er,
aber früher habe ich ihm so eine gedrückt, daß er seitdem
einen großen Bogen um mich macht."
"Was hast du ihm gedrückt?"
"Verstehst du nicht? ."
"Was heißt das?" fragte der Widder aufgeregt?
"Na das, daß ich ihn verdroschen habe."
"Du den Fuchs?"
"Na klar ich. Was gibt es da zu wundern? Es hat so angefangen, daß
die Katze frech zu mir war, ich kam nicht umhin, sie Mores zu lehren."
"Sie was zu lehren?"
"Mores."
"Und das ist?"
"Ach, für einen Widder bist du auf einem ziemlich niedrigen Bildungsstand"
sagte die Maus giftig. "Das bedeutet, daß ich sie durchgeprügelt
habe, und damit du dich nicht mit gespitzten Lippen wunderst: Du die Katze?
- ja, ich die Katze. Und als sie ihren Balg schon davonschleppte, (klar,
daß du das auch nicht verstehst); also, als sie davongelaufen ist,
habe ich ihr zwei Haare als Andenken aus ihrem Schnurrbart gerissen. Eben
wollte ich sie mir an den Hut stecken, da kam der Fuchs daher und sagte
"Her mit dem Schnurrbart" und riß sie mir aus der Hand. Ich bin aufgesprungen
und gab ihm zwei solche Watschen, daß sogar ich hörte, wie ihm
die Ohren davon klingelten."
"Du hast das auch gehört?" fragte der Widder dazwischen. "Klar"
sagte der Mäuserich, "das rechte Ohr machte den tiefen, das linke
den hohen Ton. Und dann zog ich ihm noch die Ohren lang. So was hat man
noch nie gesehen, wie der gelaufen ist. Obwohl: An deiner Stelle würde
ich ihm erst als zweites eine Watsche geben, zuerst würde ich ihm
mit diesem schreckenerregenden Gehörn eins in die Seite geben!"
"Ho, wo siehst du schreckenerregendes Gehörn?" schrie der Widder.
"Auf deinem Kopf" sagte die Maus. "Zeig nur her."
Der Widder mußte sich ganz auf den Boden beugen, damit der Mäuserich
ihm auf die Hörner klopfen konnte.
"Wirklich schrecklich?" fragte er voller Hoffnung.
"Und wie!" sagte der Mäuserich. "Du hast Hörner wie ein Büffel.
Mit diesen Hörnern könnte man ein Regiment Füchse in die
Flucht schlagen."
"Meinst du?" fragte der Widder und faßte etwas Mut.
In diesem Moment erlauschte der Mäuserich ein leises Brausen.
Er hatte gute Ohren und wußte sofort: Jetzt kommt der Fuchs.
"Na, dann laufe ich auch" sagte er, sonst komme ich zu spät.
"Bleib noch ein bisserl!" bat der Widder.
"Geht nicht" sagte der Mäuserich im Laufen.
"Sag wenigstens, was du mit den Schnurrbarthaaren der Katze gemacht
hast!"
"Hab ich meinem Sohn gegeben, als Geigensaiten!" rief der Mauserich
zurück und verzog sich hinter einen Maulwurfshügel, weil der
Fuchs auf die Lichtung getreten war.
"Da bist du ja endlich, du Taugenichts" sagte er zum Widder, "jetzt
werde ich dich Mores lehren."
"Heißt das, du willst mir eine drücken?"
"So kann man es auch nennen" antwortete der Fuchs und zog seine Boxhandschuhe
an.
"Und dürfte ich mich erkundigen, warum?" fragte der Widder.
"Weil du inzwischen vergessen hast, daß ich der Fuchs bin und
sich man vor mir zu fürchten hat. Haben wir das verstanden?" plusterte
sich der Fuchs auf und trat einen Schritt näher auf den Widder zu.
Der Widder war nicht faul, sprang ihn an, boxte den überraschten Fuchs
in die Seite und schmierte ihm zwei tüchtige Watschen herunter. Dem
Fuchs war schwindlig vom Schlag, er lehnte sich taumelnd an einen Baum.
"Anscheinend habe ich ein schlechteres Gehör als der Mäuserich"
sagte der Widder, "ich höre dein Ohrenklingeln nicht. Und jetzt tust
du gut daran, deinen Balg davonzuschleppen, denn sonst ziehe ich dir die
Ohren lang wie früher der Mäuserich, dann liegst du für
zwei Wochen im Bett."
Der Fuchs schleppte sich blitzschnell davon. "Dieser Widder ist bestimmt
verrückt geworden" dachte er bei sich, "was für eine Maus meint
er bloß? Wenn ihn bloß nicht dieser Mäuserich verwirrt
hat, der bei den Sternen gewohnt hatte." Der Fuchs blieb einen Moment stehen.
Vielleicht war da etwas Wahres daran, und diese Maus hatte vielleicht wirklich
bei den Sternen gelebt.
Der Mäuserich kam inzwischen zufrieden hinter dem Maulwurfshügel
hervor, nahm die Glockenblume und gelangte schließlich ungestört
nach Hause. Als sie im Vorzimmer war, hörte er schon, wie seine Ehefrau
brüllte:
"Jetzt nach Hause zu kommen, du Schande aller Mäuse! Das Abendessen
ist schon lange kalt, ich habe schon die Rettung angerufen; ich habe geglaubt,
dich hätte ein Elefant überfahren oder die Katze hätte dich
gefangen!"
"Warum schreist du" sagte der Mäuserich, "ich hatte zu tun! Ich
mußte den Wolf und den Widder retten. Ohne mich wären sie verloren
gewesen."
"Du lügst, du lügst" rief die Mausfrau ganz außer Fassung,
"etwas anderes kennst du nicht, nur lügen. Du bist die verlogenste
Maus der Welt!"
"Das kann schon sein" sagte der Mäuserich mit einem Lächeln,
und überreichte der Ehefrau die Glockenblume, die so viele Stürme
überstanden hatte.
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