Über Ervin Lázár


Autor, Erzähler, Märchenschreiber, geboren am 5. Mai 1936 in Budapest, gestorben ebendort am 22. Dezember 2006. Sein Vater war Gutsinspektor in Unter-Rácegrespuszta; Ervin Lázár verbrachte also seine Kindheit in der Nähe von Gyula Illyes' Geburtsort. Die große Mehrheit der Bewohner des Komitats Tolna verbrachte ein Leben in drückender Armut; die einzigen Formen von Unterhaltung, die sich anboten, waren das soziale Leben, das Geschichtenerzählen und der Tanz. Das Leben in einer an Erzählungen reichen, kleinen, in sich geschlossenen Welt hatte eine große Wirkung auf Ervìn Lázárs schriftstellerischen Werdegang. Als er acht Jahre alt war, lebte er als Kind des Gutsinspektors in relativem Wohlstand, aber nach der Befreiung durch sowjetische Truppen änderte sich die Lage der Familie von Grund auf: Im Jahr 1945 bekam seine Familie bei der Bodenreform kein Land zugeteilt, so fanden sie sich plötzlich in der Situation der Ärmsten im Komitat. 1951 wurde seine Familie aus ihrem Haus gewiesen, weil die staatlich gelenkte Wirtschaft die Inspektorenwohnung benötigte.
Die Volksschule besuchte Lázár in den umliegenden Dörfern, bis er auf das Gymnasium in Szekszárd kam. Ab 1954 studierte er an der Loránd-Eötvös-Universität in Budapest Journalistik und lebte im Studentenwohnheim der Universität. 1957 zog er nach Pécs um, wo es eine reiche Literaturszene gab, und lebte sich in die schriftstellerische Bohème der dortigen literarischen Kreise ein. Seine erste Novelle wurde 1958 in der überregional bekannten Kulturzeitschrift Jelenkor ('Gegenwart') veröffentlicht. Wie schon in seiner Studienzeit konzentrierte sich Lázár ganz auf die Journalistenlaufbahn. 1959 wurde er Mitarbeiter am Esti Pécsi Napló ('Pécser Abendblatt'). Er hatte in erster Linie vor, Reportagen zu schreiben und als angry young man gegen alle möglichen Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Bald mußte er einsehen, daß es die politische Lage nicht zuließ, Mißstände publik zu machen. Inzwischen hatte er die Studienrichtung gewechselt, er schrieb sich für Ungarische Sprache und Literatur ein und beendete das Studium als Externer 1961 mit dem Lehrerdiplom. Zwischen 1964 und 1965 redigierte er das Dunántúli Napló ('Westungarisches Tageblatt') zusammen mit Tibor Tüskés und war Mitarbeiter bei der Zeitschrift Jelenkor, die damals eine Atmosphäre von relativer Freiheit bot. 1965 zog er nach Budapest um und etablierte sich bei Élet és Irodalom ('Leben und Literatur'), der schon damals in Vor-Wende-Zeiten wichtigsten Zeitschrift für Literatur. Sein erster Band, ein Märchenroman mit dem Titel A kisfiú meg az oroszlánok (1969 dt: 'Auf Petis Hof sind Löwen')1 entstand 1964. Die Zeichnungen stammten von László Réber, der von nun ab jedes Buch Lázárs illustrieren sollte. Mit seinem charakteristischen Tonfall und den vielen Sprachspielen wurden die humor- und liebevoll erzählten Geschichten bald bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt.

Der szenenfolgeartige Stil seiner Werke ermöglichte eine mühelose Umsetzung in Radio- und Fernsehspiele sowie Bühnenadaptionen: Aus 'Auf Petis Hof sind Löwen' entstand 1979 ein Bühnenstück mit Kamill Feleki und Margit Dajka in den Hauptrollen. Das 1981 erschienene Buch Szegény Dzsoni és Árnika (dt: 'Arnika, die Entenprinzessin') wurde ebenfalls verfilmt (dt: 'Entenzauber'). 1973 erschien sein bis heute populärstes Buch, A Hétfejû Tündér, ('Die siebenköpfige Fee'), das bis heute acht Auflagen erlebte. Der Märchenroman wurde 1976 von Katalin K
őváry als Bühnenstück adaptiert. Wegen der Beliebtheit seiner märchenartigen Erzählungen kennen viele Lázár nur als Märchenautor. Aber seit Beginn seines Auftretens als Schriftsteller hatte er immer auch Erzählungen geschrieben, die sich an Erwachsene richten. 1966 erschien sein erster Band Erzählungen, Csonkacsütörtök. Die Erzählbände Egy lapát szén Nellikének ('Eine Schaufel Kohle für Nelly') und Buddha szomorú ('Buddha ist traurig') folgten 1969 und 1973. An seinen ins Absurde und Groteske reichenden Novellen ist vieles märchenartig, man kann bei einigen nicht sicher sein, ob sie eher in Richtung realistische Erzählung oder Märchen gehen - am ehesten wird man ihnen gerecht, wenn man einen eigenen Begriff konstruiert und sie als Märchenerzählungen bezeichnet. Bei denjenigen Erzählungen, die sich ausschließlich an ein erwachsenes Publikum richten, bilden zwischenmenschliche Konflikte den Vordergrund, sie beschäftigen sich mit den Spannungen, die das Leben in einer modernen Gesellschaft hervorruft.

1971 erschien sein einziger an Erwachsene gerichteter Roman, die Groteske A fehér tigris. ('Der weiße Tiger'). Im Roman läuft dem Protagonisten ein Tiger zu, der ihm von da an nicht mehr von der Seite weicht. Er erfüllt seinem Herrn jeden Befehl, so daß dieser schließlich zu unbegrenzter Macht gelangt. Im Mittelpunkt des Romans steht die moralische Frage, zu welchen Folgen die Unbegrenztheit von Macht führt.

Sein nachhaltiger Erfolg ermöglichte Lázár ab 1971 eine Existenz als freier Schriftsteller. Zwischen 1971 und 1980 lebte er mit seiner Familie in Pécelen. Aus der Ehe mit der Schriftstellering Zsuzsa Vathy wurden zwei Kinder geboren, Zsófia und Zsigmond. Die Geburt seiner Kinder bedeuteten für Lázár neue Möglichkeiten der Inspiration. Unter dem Einfluß seiner Kinder traten die Erinnerungen an seine eigene Kindheit neu ans Licht. Beim Beobachten ihres Interesses an Sprache gelangte er zu einem  neuen Verhältnis zur eigenen Muttersprache. Eine Menge Ideen verdankte er seinem Sohn und seiner Tochter; die Namen für die beiden Hauptfiguren seines 1979 erschienenen Märchenromans Berzsián és Dideki (dt. 'Berzsián und Meister Schräubchen') stammen von seiner Tochter Fruzsina. Für seinen Märchenroman wurde Ervín Lázár von einer internationalen Jury mit 1982 mit dem Andersen-Preis ausgezeichnet. A négyszögletű kerek erdő ('Der rechteckige Rundwald', ersch. 1985) und Bab Bérci kalandjai ('Berci Bohnes Abenteuer', ersch. 1989) wurden jeweils zum Buch des Jahres ernannt. In den 80er Jahren schrieb er mehrere Hörspiele für das öffentlich-rechtliche ungarische Radio, die 1990 unter dem Titel Franka Cirkusz  ('Zirkus Franka') als Buch herausgegeben wurden. 1992-1993 war er Dramaturg am Nationalen Puppentheater. Seine größten Erfolge dort waren die Stücke Árgyélus királyfi ('Prinz Argelius') und A legkisebb boszorkány ('Die allerkleinste Hexe').

1994 und 1997 erschienen mit den Titeln Hét szeretőm ('Meine sieben Lieben') und Kisangyal ('Kleinengel') jeweils eine Auswahl aus früheren Erzählungen. 1996 entstanden aber auch neue Geschichten: Mit dem Erzählband Csillagmajor setzte er seiner Heimat, dem dahingegangenen Unter-Rácegrespuszta, ein Denkmal. In den zwölf Novellen des Bandes mischen sich märchenhafte und wunderartige Elemente mit einer genauen, wirklichkeitsgetreuen Rückerinnerung an das Leben in seinem Heimatstädtchen (im Band Rácpácegres genannt). Der Band wurde als Buch des Jahres 1996 ausgezeichnet.

1998 erschien ein Märchenband unter dem Titel Hapci Király ('König Haptschi'). Lázárs letzes Oevre war Az aranyifjítószóló madár. Ámi Lajos meséi (etwa: 'Der Goldverjüngungsvogel. Die Erzählungen des Lajos Ámi'). In den 70er Jahren hatte der Volkskundler Sándor Erdész die Erzählungen des schriftunkundigen Zigeuners Lajos Ámi gesammelt. Schon als dessen Sammlung erschien, hatte Lázár Gefallen an Lajos Ámis Märchen gefunden und sich vorgenommen, diese Märchen einem weiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Die gegenwärtige Ausgabe hatte Lázár speziell für ein jugendliches Publikum redigiert, wobei er sorgsam darauf achtete, so wenig wie möglich zu verändern. Für die Kinder war es notwendig, die vielen erotischen Anspielungen herauszunehmen - gerade diese enthalten aber die Erzählungen des Lajos Ámi in Hülle und Fülle. Lázár hatte - unter anderem - auch vor, einmal eine an Erwachsene gerichtete Auswahl aus diesen Erzählungen herauszugeben.

Ervín Lázár hat im Laufe seines Schaffens viele Preise und Auszeichnungen erhalten, 1974 den Attila-József-Preis, den Kunstfonds-Literaturpreis 1980, den Staatlichen Jugendpreis 1981, die Tibor Déry-Auszeichnung 1990, den Preis der Soros-Stiftung für sein Lebenswerk 1992, den MSZOSZ-Preis 1995. 1996 erlangte er den Kossuth-Preis, Ungarns höchste Auszeichnung für kulturelle Leistungen.
Nicht vergessen sollte man seine Familie, er erwähnte oft seine Kinder als Mitautoren. Seine Tochter Zsófia studierte an der ELTE in Budapest Italienisch und Englisch, seine Ehefrau war die Autorin Zsuzsa Vathy (geb. 1940), die Tochter Fruzsina ist Oberstufenlehrerin in Ungarisch und Geographie, der Sohn Zsigmond Jurist.  

Ervín Lázár starb am 22. Dezember 2006 in Budapest.


Wichtige Preise und Auszeichnungen:


1974 Attila-József-Preis
1980 Literaturpreis der Künstlerstiftung
1981 Staatlicher Jugendpreis
1982 Hans-Christian-Andersen-Preis
1985, 1989, 1996 Buch des Jahres
1989, 1990, 1993 Kinderbuch des Jahres (IBBY)
1990 Tibor-Déry-Preis
1992 Lebenswerk-Preis der Soros-Stiftung
1995 MSZOSZ-Preis (Ungarischer Gewerkschaftsbund)
1996 Kossuth-Preis (höchste staatliche Auszeichnung in Ungarn für Kunst und Kultur)
1999 Pro-Literatura-Preis des Landesverbandes der Bildenden Künstler Ungarns
2005 Prima-Primissima-Preis des Ungarischen Unternehmerverbandes


Seine bekanntesten Werke:


A kisfiú meg az oroszlánok (Roman für Kinder, 1964, dt. u.d.T. Auf Petis Hof sind Löwen, 1969)
Csonkacsütörtök (1966)
Egy lapát szén Nellikének (1969)
A fehér tigris (Roman, 1971)
Buddha szomorú (1973)
A Hétfejű Tündér (Märchenerzählungen, 1973)
Berzsián és Dideki (Märchenerzählungen, 1979. Dt. u.d.T. Bersian und Meister Schräubchen, 1983)
Gyere haza, Mikkamakka (Roman für Kinder, 1980)
A Masoko Köztársaság (Märchenerzählungen, 1981)
Szegény Dzsoni és Árnika (Märchenerzählung, 1981)
A négyszögletű kerek erdő (Roman für Kinder, 1985)
Bab Berci kalandjai (Roman für Kinder, 1989)
A Franka cirkusz (Hörspiele, 1990)
A manógyár (Märchenerzählungen, 1994)
Hét szeretőm (Erzählungen, 1994)
Csillagmajor (Erzählungen, 1996)
Kisangyal (Erzählungen, 1997)
Hapci király (Märchenerzählungen, 1998)
Lehel kürtje (Märchenerzählungen, 1999)



1 Von Lázár sind nur wenige Werke in deutscher Sprache erschienen. Die hier mit (dt.) gekennzeichneten Titel beziehen sich auf diese Übersetzungen, alle anderen sind eigene wörtliche Übertragungen

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