Diese Geschichte wollte ich schon vor
fünf Jahren aufschreiben, aber erst jetzt bin ich dazu gekommen. Ich
mußte nämlich sehr viele Nachforschungen anstellen. Wegen dem
Mädchen, um das es in der Geschichte geht. Ich wußte nur, daß
es schön und blond war und grüne Augen hatte. Das kann übrigens
jeder sehen, der nicht blind ist. Aber wie weit komme ich, wenn ich weiß,
wie sie von außen aussieht?! Ich hätte gerne gewußt, wie
sie von innen aussieht. Und deswegen die vielen Nachforschungen. Weil ich
jeden fragen mußte, der sie kannte: Einen Einsiedler, einen Jäger,
ihren Vater, eine Hexe, eine Fee, einen Ziegenhirten, ein Schwammerl, ihre
Mutter, eine Freundin, einen König, ein hübsches Mädchen, einen
Himbeerbusch, eine Nonne, den Mikkamakka, einen Tapergreis, einen Kahn, einen
Khan, einen Kanonikus, einen Mathematikprofessor, einen Krapfen und einen
Zapfen und dann noch Juli und Schurli; und, weil er angeblich alles weiß:
Vatschkamati, und schließlich das Mädchen selbst.
Das hat natürlich viel Zeit gekostet. Vom einen zum anderen
mußte ich sieben Tage zu Fuß gehen. Aber umsonst, weil ich aus
ihren Antworten kein Stück schlauer geworden bin. Der Einsiedler sagte,
sie ist närrisch; der Jäger, sie ist struppig; ihr Vater, sie ist
eine Traumtänzerin; die Hexe: griesgrämig; die Fee, sie ist schnippisch;
der Ziegenhirt: deppert; das Schwammerl, sie ist narrisch; ihre Mutter: ein
Herzerl; ihre Freundin, sie ist prächtig; der König: naiv; das
hübsche Mädchen: häßlich; der Himbeerbusch: lieb, die
Nonne: zuckerlsüß, Mikkamakka, sie ist tschippert (wer weiß
schon, was tschippert ist? Mikkamakka sagt immer so was. Tschippert! So ein
Wort gibt es gar nicht!), der Tapergreis, sie ist ein Strudelkopf, der Khan:
feenschön, der Kahn, sie ist falsch, der Kanonikus, sie ist ein Krischpinderl,
der Mathematikprofessor, sie ist ein Blitzkneißer, der Krapfen: unwirsch,
der Zapfen: dümmlich, Juli: etepetete, Schurli: eine Rakete, Vatschkamati:
ein Tülpchen, das Mädchen selbst: "Ichweißnichtwas!"
Damit kommen wir auch nicht weiter! Wie geht das, ein Mädchen
soll alles auf einmal sein: Närrisch, struppig, ein Traumtänzer,
griesgrämig, schnippisch, deppert, narrisch, ein Herzerl, prächtig,
naiv, häßlich, lieb, zuckerlsüß, tschippert (auweh!),
ein Strudelkopf, feenschön, falsch, ein Krischpinderl, ein Blitzkneißer,
unwirsch, dümmlich, etepetete, strahlend, ein Tülpchen. Und dann
noch: "Ichweißnichtwas"?
Ichweißnichtwas!
Aber die Geschichte muß ich trotzdem erzählen. Eines
schönen Tages in der Früh ging das Mädchen in den Wald Schwammerl
suchen. So, daß sie spätestens mittags wieder zuhause war. Aber
sie war bis Mittag nicht nach Hause. Auch am Nachmittag nicht. Ihre Eltern
regten sich fürchterlich auf. Der Vater lief hierhin, die Mutter lief
dorthin, und sie suchten das Mädchen. Bei der Suche halfen ihnen der
Jäger, die Fee, der Ziegenhirt, der König, der Himbeerbusch, Mikkamakka,
der Kahn, der Mathematikprofessor, Juli, Schurli und Vatschkamati.
Die anderen, also der Einsiedler, die Hexe, das Schwammerl, die Freundin,
das hübsche Mädchen, die Nonne, der Tapergreis, der Khan, der Kanonikus,
der Krapfen und der Elefant, die wackelten nicht einmal mit den Ohrwascheln
und halfen nicht. Gerade sie sollen die Geschichte weiterlesen, denn ich
habe sie auch für die geschrieben, die nicht mithelfen.
Es war schon spät am Abend, als der Ziegenhirt auf das Mädchen stieß.
"He, du Hudriwudri, wo zigeunerst du hin?" rief er so, daß man aus
seiner Stimme Vorwurf und Freude gleichzeitig heraushören konnte.
"Ach Ziegenhirt, stell dir vor, was mit mir passiert ist, ich war am Schwarzen
See!"
"Am Schwarzen See?" Der Ziegenhirt wunderte sich. "Das ist so tief drin im
Wald, daß nicht einmal Mikkamakka sich dahintraut!"
"Oh ja, das ist tief drin" nickte das Mädchen, "aber ich mußte
dort hingehen. Weil ich ein Schreien gehört habe. Erst war es ganz schwach,
ich habe die Wörter nicht verstanden, aber es war so ein Schreien, daß
ich näher hingehen mußte. Wo das Ufer vom Schwarzen See ist, bin
ich aus dem Wald geschlüpft, und weißt du, was ich gesehen habe?
Ein altes Haus mit Holzschindeln auf dem Dach. Es war alt, aber nicht schäbig,
nicht groß, aber trotzdem würdig, nicht feindlich, aber auch nicht
gerade vertrauenerweckend. Die Jalousien waren zu, die Wege zum Haus
hin waren mit Gras zugewachsen. Die Tür war auf. Von da hat man von
drinnen das Geschrei gehört. Dort hat jemand gerufen: "Hilfe! Lös
meine Fesseln, mach meine Jalousien auf, feg meine Spinnweben aus, putz meine
Fenster, scheuer meine Zimmer, weißel meine Wände, streichel meine
Stirn!" Ich bin ins Haus hineingegangen. In einem zugigen, dunklen Vorzimmer
habe ich gestanden, es war stockfinster. Die Türen zu allen anderen
Zimmern waren auf. In einem hab ich so was wie einen Menschen gesehen, der
war auf einem Sessel festgeschnürt. Ich hab mich sehr erschrocken, bin
aus dem Haus gerannt, und seither laufe ich. Gut, daß du da bist, Ziegenhirt!
Sag einmal, das war doch nicht schlimm, daß ich weggelaufen bin. Was
hätte ich sonst machen sollen?"
Der Ziegenhirt runzelte seine Stirn. Runzel an Runzel. Dann stieß er
sehr mühselig hervor: "Weiß nicht. Ich weiß nicht, was du
hättest tun sollen."
In dem Moment trat Vatschkamati aus dem Dickicht.
"Oh wie schön, daß du hier bist, Tülpchen! Wo zum Teufel hast
du gesteckt, wir haben dich bis zum Umfallen gesucht!"
"Oh Vatschkamati, stell dir vor, ich war am Schwarzen See!"
"Am Schwarzen See!" Vatschkamati staunte. "Das ist so tief im Wald, daß
sogar Mikkamakka sich nicht hintraut."
"Oh ja, das ist tief drin" nickte das Mädchen, "aber ich mußte
dort hingehen. Weil ich ein Schreien gehört habe. Erst war es ganz schwach,
daß ich keine Worte verstanden habe, aber es war so ein Schreien, daß
ich näher hingehen mußte. Wo das Ufer vom Schwarzen See ist, bin
ich aus dem Wald geschlüpft, und weißt du, was ich gesehen habe?
Ein altes Haus mit Holzschindeln auf dem Dach. Es war alt, schmutzig, groß
und feindselig. Die brüchigen Jalousien waren zugezogen, auf dem Hof
bis zu den Knien Unkraut. Die Tür war auf. Das Schreien kam von drinnen.
Dort brüllte jemand: "Lös sofort meine Fesseln, mach meine Jalousien
auf, feg meine Spinnweben weg, putz meine Fenster, scheuer meine Zimmer,
weißel meine Wände, streichel meine Stirn!" Es war eine heisere,
krächzende Stimme. Trotzdem bin ich ins Haus reingegangen. In einem
dunklen, zugigen Vorzimmer war ich, es war stockfinster. Alle Türen
in die anderen Zimmer waren offen. Eulenaugen, Spinnenrücken haben überall
dort gefunkelt, Drachenzähne und Knochen da geschimmert. Im einen Zimmer
hat einer gesessen, auf einen Sessel gebunden, ich hab einen unglaublich
häßlichen, zahnlosen Menschen gesehen. Da bin ich sehr erschrocken,
aus dem Haus gelaufen, und seitdem renne ich. Gut, daß du hier bist,
Vatschkamati! Sag, es ist doch nicht schlimm, daß ich weggelaufen bin,
oder!? Was hätte ich sonst anstellen sollen?"
"Auflösen, festbinden, aufsperren, zunageln, abscheuern, mit Gatsch vollschmieren!"
rief Vatschkamati wie wahnsinnig. Auf dieses Geschrei trat Mikkamakka aus
dem Dickicht.
"Oh wie schön, daß du hier bist, Tschipperl!" sagte er.
"Gut, daß du verlorengegangen bist, aber nur deswegen, weil wir dich
dann wiederfinden konnten!" (Weil Mikkamakka immer so etwas sagt.) "Wo zur
Hölle hast du gesteckt?"
"Oh Mikkamakka, stell dir vor, ich war am Schwarzen See!"
"Am Schwarzen See!" Mikkamakka staunte. "Das ist so tief im Wald, daß
sogar ich mich nicht hintraue."
"Oh ja, das ist tief drin" nickte das Mädchen, "aber ich mußte
dort hingehen. Weil ich ein Schreien gehört habe. Erst war es ganz schwach,
daß ich keine Worte verstanden habe, aber es war so ein Schreien, daß
ich näher hingehen mußte. Wo das Ufer vom Schwarzen See ist, bin
ich aus dem Wald geschlüpft, und weißt du, was ich gesehen habe?
Ein altes Haus mit Holzschindeln auf dem Dach, frisch weiß angestrichen.
Es war ein freundliches schönes Haus. Die makellosen Jalousien waren
zugezogen, auf dem Hof gepflegter Rasen. Die Tür war auf. Das Schreien
kam von drinnen. Dort rief jemand: "Lös bitte meine Fesseln, mach meine
Jalousien auf, feg meine Spinnweben weg, putz meine Fenster, scheuer meine
Zimmer, weißel meine Wände, streichel meine Stirn! Ich bitte dich,
rette mich!" Ich bin ins Haus reingegangen. In einem dunklen, zugigen Vorzimmer
war ich, es war stockfinster. Alle Türen zu den anderen Zimmern waren
offen. Silber und Gold in Haufen schimmerte da, Edelsteine, Elfenbeinstatuen
funkelten dort. Im einen Zimmer saß einer auf einen Sessel gebunden,
ich sah einen unglaublich schönen Menschen mit ganz traurigem Gesicht.
Da bin ich sehr erschrocken, aus dem Haus gelaufen, und seitdem renne ich.
Gut, daß du hier bist, Mikkamakka! Sag, es ist nicht schlimm, daß
ich weggelaufen bin, oder! Was hätte ich denn sonst anstellen sollen?"
Mikkamakka zog die Augenbrauen zusammen, paffte heftig an seiner
Pfeife und blickte zum Himmel, wie immer, wenn er etwas besonders Wichtiges
sagen wollte.
"Wenn du auf drei Beinen gazierenspähst, wirst du nie zum den Grind
der Dunge kommen."
Das Mädchen starrte ihn mit sperrangelweit offenem Mund an.
"Aber davon verstehe ich kein einziges Wort!" Sie sah ihn schief an.
Mikkamakka hielt seinen Zeigefinger in die Höhe. "Bald verstehst du
es, hihihi!"
Und er hihite und hohote noch ein wenig weiter. Mikkamakka konnte sehr ernst
hihihen und hohohen.
Inzwischen waren die anderen, die das Mädchen gesucht hatten,
auch schon angekommen. Ihre Freude war sehr groß. Vor lauter Fröhlichkeit
tanzten sie sogar ein Stück auf dem Heimweg. Aber das Mädchen wurde
immer trauriger. Sie verstanden sie nicht. Nur Mikkamakka wußte, daß
sie traurig war, weil ein festgebundener Mensch in ihrem Kopf umherging,
dessen Jalousien zugezogen waren, Spinnen im Dunkeln ihre Nester bauten,
dessen Fenster schmutzig waren, sein Fußboden voller Gatsch, seine
Wände fleckig, und seine Stirn unberührt blieb von einem kleinen
Streicheln.
Das Mädchen konnte die ganze Nacht nicht schlafen, es war schon ganz
früh auf und wollte zu dem Haus mit den Holzschindeln auf dem Dach gehen.
Nur allein traute es sich nicht. Da ging es zu sieben Meistern. Einer war
ein Fessellöser, der andere ein Jalousienhochzieher, der dritte ein
Spinnennetzherunterreißer, der vierte ein Fensterpolierer, der fünfte
ein Fußbodenscheuerer, der sechste ein Wändeverputzer und der
siebte war ein Stirnstreichler.
"Ich brauche eure Hilfe" sagte sie.
Jeder der sieben nickte und jeder sagte: "Der Preis für meinen Dienst
ist ein Goldstück."
Das macht zusammen sieben Goldstücke! Woher soll ein Mädchen sieben
Goldstücke nehmen? Die Mutter fragen? - Die hatte sie nicht. Den Vater
fragen? - Der hatte sie nicht. Da ging sie eben für sieben Tage zum
König, um ihm zu dienen.
Am ersten Tag knüpfte sie hundert verknotete Schnüre auseinander,
am zweiten Tag zog sie zweihundert Jalousien auf, am dritten Tag fegte sie
dreihundert Spinnweben weg, am vierten Tag polierte sie vierhundert Fenster,
am fünften Tag scheuerte sie fünfhundert dreckige Fußböden,
am sechsten Tag weißelte sie sechshundert fleckige Wände, am siebten
Tag weinte und heulte sie bloß, aber sie bekam trotzdem für den
Tag noch ein Goldstück.
Sie hatte die sieben Goldstücke beisammen, da ging sie mit den sieben
Meistern zum Schwarzen See.
Als sie dort waren, gingen sie dreimal um den See herum, aber umsonst. Sie
fanden kein Haus.
Da rief das Mädchen auf einmal aus: "Jetzt verstehe ich es!"
"Was verstehst du?" fragten die sieben Meister.
"Warum Mikkamakka gesagt hat: "Wenn du auf drei Beinen gazierenspähst,
wirst du nie zum Grind der Dunge kommen."
Die sieben Meister nickten. Anscheinend verstanden sie es auch.