aus: Ervin Lázár, Die siebenköpfige Fee
 

ZWEI MORGEN


Einmal trafen sich zwei Morgen auf der Milchstraße.
"Guten Morgen, Morgen!" sagte der eine und lüpfte seinen aus zartblauen Strahlen gewobenen Hut.
"Grüß Gott" sagte der andere mit einem freundlichen rubinroten Lächeln.
"Wohin geht's?" fragte der erste und zupfte seinen leuchtenden, mit Edelsteinen besetzten Mantel zurecht.
"Auf die Erde. Ich fahre zur Erde" sagte der andere verklärt.
Die Miene des Morgens mit dem strahlengewobenen Hut verdüsterte sich, sogar sein Hut wurde plötzlich blasser, und die Edelsteine vergaßen zu funkeln.
"Was heißt das, zur Erde!" sagte er unheildrohend. "Das geht nicht, das kann nicht sein!"
"Aber sicher kann das sein! Heute ist der erste Sonntag im Mai, oder?"
"So ist es."
"Na dann. Heute werde ich es sein, der da unten anbricht und leuchtet."
"Das möchte ich sehen" rief sein Gegenüber, "am ersten Sonntag im Mai gehe ich. Von wegen anbrechen und leuchten. Abbrechen und keuchen wirst du, mein Lieber. Heute erstrahle ich auf der Erde."
Dabei fing er an zu laufen. Doch der andere war nicht faul, stellte ihm ein Bein, daß er hinfiel und die Milchstraße nur so staubte. Sie fingen an sich zu prügeln und zerrten aneinander. Morgengrauenstücke, Dämmerfetzen, abgerissene Lichtlappen flogen umher. Schließlich gewann einer von ihnen die Oberhand - wer weiß schon, welcher; vor der Rauferei waren sie beide gleich schön und lieblich, danach beide gleich lumpig und abgerissen - und ging zur Erde nieder, um die Nacht abzulösen.
Die Menschen schauten aus den Fenstern und sagten: "Puh, was für ein häßlicher Morgen, der uns da graut!" Und die schlechte Laune blieb den ganzen Tag.
 


zurück

Schriftgröße ändern? Schrift kleiner
Schriftgröße ändern? Schrift größer