aus: Ervin Lázár, Die siebenköpfige Fee
 

DER GERECHTE HASE

Der Affe saß gerade auf einem Walnußbaum und aß Nüsse. Fröhlich spuckte er die Nußschalen in die Gegend, trällerte vor sich hin; er hatte gute Laune, weil die Sonne schien, kein stärkeres Tier gelangte hierhin - also aß er und glaubte, die Welt gehöre ihm. Dann sah er eine Ameise. "Hm" sagte er hochmütig, " was für ein Fliegendreck krabbelt denn da?"
"Ich bin kein Dreck" sagte die Ameise beleidigt, "ich bin eine Ameise."
"Das ist mir wurscht" sagte der Affe, "verschwinde hier!"
"Wieso, störe ich dich?" meinte die Ameise verwundert. "Meinetwegen kannst du hier bis zum Jüngsten Tag ruhig essen."
"Widersprich mir nicht" winkte der Affe großspurig ab, "weil ich dich sonst zu Gatsch tret, ... was für ein Tag sollte das grad sein?"
"Der Jüngste Tag."
"Na, bis dahin sollst du wimmern!"
"Aber ich habe hier etwas zu erledigen" sagte die Ameise. "Ich kann wegen deiner Launen nicht meine Arbeit liegen lassen."
Der Affe war verdutzt, zog die Augenbrauen hoch und stemmte die Arme in die Seiten (dabei hielt er sich mit dem Schwanz fest, um nicht herunterzufallen).
"So eine Unverschämtheit!" rief er. "Paß auf, du Dreckstück, Steckdrück, Streckdück, oder wie du heißt!"
"Es wäre das beste, wenn du mich mit einem etwas würdevollerem Namen nenntest" sagte die Ameise wütend. "Ich habe genauso ein Recht wie du, hier herumzuspazieren."
Der Affe wußte darauf nichts zu antworten, in seiner Sprachlosigkeit warf er eine halbe Nuß auf die Erde. "Recht? Was für ein Recht?"
"Ich bin genauso ein Tier wie du" sagte die Ameise.
Der Affe fing aus voller Kehle an zu lachen. "Die ist verrückt" sagte er und sah sich um, wem er die verrückt gewordene Ameise zeigen könnte. Doch gerade lief keiner vorbei.
"Genauso stark?" fragte der Affe höhnisch.
"Genauso" sagte die Ameise.
"Genauso schnell?" fragte der Affe und hielt sich den Bauch vor Lachen.
 "Genauso" sagte die Ameise wütend.
"Na komm," lachte der Affe, "dann machen wir einen Wettkampf."
"Gut" sagte die Ameise entschlossen und machte zwei Liegestütze zur Übung. Sie stiegen ab, bis sie unter dem Baum standen.
"Zuerst laufen wir um die Wette" sagte der Affe. "Siehst du den Baum?"
"Ich sehe ihn" sagte die Ameise.
"Das ist das Ziel. Bei drei geht's los" sagte der Affe und begann zu zählen.
Bei drei lief er los. Die Ameise lief auch, wie ihre Beine nur konnten. Sie war kaum um fünf Grashalme herumgelaufen, da rief der Affe schon vom anderen Baum aus. "Wo bist du?"
"Hier" knurrte die Ameise wütend.
"Na siehst du, du Grünschnabel!"
"Ich mußte um fünf Grashalme herumlaufen" verteidigte sich die Ameise. Der Affe bekam davon einen Lachkrampf. "Jetzt heben wir Gewichte. Hier, diesen Stein. Zuerst hebe ich ihn, dann du." Er nahm den Stein, warf ihn in die Luft, dann rief er noch "hoppla", fing ihn und legte ihn wieder auf die Erde. "Jetzt kommst du."
Die Ameise stemmte sich dagegen, drückte mit der Schulter gegen den Stein, das Blut stieg ihr in den Kopf vor lauter Anstrengung. Der Stein bewegte sich kein Stück, der Affe grinste.
"Tja, jetzt machen wir einen Baumkletter-Wettkampf" sagte er. "Komm hier unter den Baum, bei drei geht's los.
Als die Ameise eine Handspanne gelaufen war, war der Affe schon in der Baumkrone.
"Jetzt hättest du verdient, daß ich dich zerpatsche, weil du frech warst" sagte der Affe, als er herunterkletterte. Wenn du noch einmal wagst zu sagen, daß du genauso ein Tier bist wie ich, dann denk dran!"
Die Ameise bekam rote Ohren vor Scham. Der Affe drehte sich um und suchte nach der halben Nuß, die er eben gerade weggeworfen hatte. "Wo ist meine halbe Nuß?" sagte er halblaut.
"Entschuldigung" ließ sich eine Stimme vernehmen, "die habe ich eben gerade aufgegessen. Ich wußte nicht, daß sie dir gehört." Der Hase trat hervor und hob das Blatt hoch daß er als Hut trug. Der Affe freute sich, daß er schließlich jemanden gefunden hatte, dem er die Geschichte erzählen konnte. Um die halbe Nuß kümmerte er sich nicht mehr. Als die Erzählung zu Ende war, schüttelte der Hase ungläubig den Kopf. "Du hast ihn tatsächlich besiegt?"
"Glaubst du das vielleicht nicht?" fragte der Affe beleidigt.
"Gab es einen Schiedsrichter?" fragte der Hase anstelle einer Antwort.
"Nein"
"Dann gilt es nicht" sagte der Hase. Ihr müßt den Wettkampf wiederholen. Ich bin der Schiedsrichter.
"Mir ist das egal" sagte der Affe mit einem überheblichen Lächeln.
"Na dann geh mal hundert Schritte" sagte der Hase zum Affen. Der Affe ging die hundert Schritte, dann steckte er einen Zweig in die Erde. "Dort ist das Ziel" rief der Hase, und der Affe nickte.
"Ich will keinen Wettkampf mehr" sagte die Ameise weinerlich. "Der gewinnt sowieso. Er ist eben doch ein besseres Tier als ich."
"Ruhe! Die Wettkämpfer reden nichts Überflüssiges" sagte der Hase streng, dann sah er sich um. "Wo bist du?"
"Hier" sagte die Ameise im Schatten eines Kürbiskerns.
Inzwischen war der Affe zurückgekommen. "Wir können anfangen" sagte er.
"Warte" winkte der Hase ab und rief zur Ameise: "Geh du auch hundert Schritte ab."
Die Ameise lief hundert Schritte, was gerade vom einen Grashalm zum anderen reichte.
"Wozu soll das gut sein?" fragte der Affe argwöhnisch.
"Na klar, du läufst hundert Schritte, und sie auch. Habt ihr das vorher nicht so gemacht?"
"Eben nicht" meinte die Ameise kämpferisch. "Dann war es auch nicht gerecht" erklärte die Ameise. "Jetzt aber geht es um hundert Ameisenschritte und hundert Affenschritte. So ist es gerecht."
Der Affe wollte etwas sagen, aber der Hase unterbrach ihn: "Ruhe! Ich bin der Wettkampfrichter!"
Sie liefen. Der Affe hatte nicht einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt, da war die Ameise schon am anderen Grashalm.
"Tja, du bist leider zurückgeblieben" sagte der Hase zum Affen.
Der Affe kochte vor Wut. "Beim Gewichtheben entscheidet es sich!"
"Erst wiegen wir aus" sagte der Hase.
"Wir machen was?" schielte der Affe.
"Wir wiegen aus" sagte der Hase, und legte die Ameise auf das eine Ohr, dann auf das andere ein Steinchen.
"Das nennt man Ohrenmaß" erläuterte er, und sagte dann später: "In Ordnung. Eben im Gleichgewicht."
Die Ameise hob spielend das ameisenschwere Steinchen hoch.
"Jetzt bist du dran, du hebst auch einen Stein, der genau dein Gewicht hat" sagte der Hase.
"Setzt du mich auch auf dein Ohr?" fragte der Affe hämisch.
"Nein" meinte der Hase dazu, sah sich den Affen genau an und suchte mit den Augen einen schweren Stein, "das mache ich nach Augenmaß. Das ist ebenso genau wie Ohrenmaß."
Der Affe mußte sich anstrengen, als er den Stein hochhob, seine Augen traten hervor.
"Die Zwergohreule behandelt Leistenbrüche hervorragend" gab die Ameise frech dazu.
"Noch eine solche Bemerkung, und ich schließe dich vom Wettkampf aus!" rief der Hase. Die Ameise stemmte noch ein Gewicht, das zweimal so schwer war wie sie selbst, der Affe schaffte es nicht. Wütend brüllte er: "Dann beim Bäumeklettern!"
"Pardon, nur Klettern" korrigierte ihn der Hase, der Affe verstand nichts. "Nur du wirst nämlich auf den Baum steigen. Laß mal sehen..." Damit sah er sich den Baum an. "Fünfmal so hoch wie du" sagte er zum Affen, "dieser Grashalm ist fünfmal so hoch wie die Ameise. Also klettert sie auf den Grashalm."
Der Affe kletterte hervorragend, er kam genau dann oben im Wipfel an, als die Ameise die Spitze des Grashalms erreichte.
"Unentschieden" stellte der Hase fest. "Damit hast du etwas Land gewonnen. Aber den gesamten Wettkampf hat die Ameise gewonnen."
Da war der Affe aber schon wieder auf dem Boden; ihm lief die Galle über, griff sich eine Keule und rief: "Stehengeblieben!"
"Langstreckenlauf" kommandierte der Hase, nahm die Ameise hoch und rauschte davon, so schnell er nur konnte. Am Waldrand blieben sie stehen. Der Hase schnappte nach Luft vor Anstrengung, er setzte die Ameise wieder ab. Sie lachten.
"Wir haben gewonnen" sagte der Hase.
Und damit hatte er recht.

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