aus: Ervin Lázár, Die siebenköpfige Fee
 

FRANZISKA UND DER ZEHNGESCHOSSER


Franziska baute sich einen Zehngeschosser. So ein zehnstöckiges Hochhaus, in dem viele Leute wohnen. Als sie fertig war, krachte es zusammen; da baute sie es wieder auf. Es fiel noch einmal zusammen, da fing sie von vorne wieder an. Beim dritten Mal stand das Haus. Ein Erdgeschoß und dann noch zehn Stockwerke.
Franziska rieb sich die Hände.
"So, jetzt kucke ich mir das von drinnen an" sagte sie und ging durch den Eingang ins Erdgeschoß.

"Hallo, Erdgeschoß! Ich besichtige das Haus!"
"Ein Erdgeschoß, Eranziska, einläd zum Einstieg!" erzählte das Erdgeschoß.
"Ich heiße nicht Eranziska, sondern Franziska!"
"Eile einfach empor!" eiferte das Erdgeschoß.
Franziska stapfte lustlos in den ersten Stock.

"Hallo, erster Stock!"
"Eingetreten, Ende. Entfern dich, Eranziska!"
"Nicht Eranziska, Franziska heiße ich!"
"Einfallslos. Eklig."
Enttäuscht ging sie weiter in den zweiten Stock und dachte sich dabei: So ein blödes Haus.
"Hallo, zweiter!"
"Zwanziska, zweifellos. Zwergenhaft, Zwiebelgeruch."
Franziska lief in den dritten.
"Hallo, dritter Stock! Wie geht's dir?"
"Dreckig. Dreistigkeit, hier draufzukommen!"
Franziska verdrückte sich in den vierten Stock.
"Verpiß dich, Verrückte, verärgere mich nicht!"
Franziska standen fast schon die Tränen in den Augen, da erreichte sie den fünften Stock.
"Hallo fünfter" begrüßte sie ihn schüchtern.
"Franziska," freute sich der fünfte, "ich feiere deinen Freimut. Fantastisch, wie fröhlich du flanierst!"
"Du freust dich?" fragte Franziska.
"Freilich freut mich dein Frohsinn, fliederfarbene Fee."
Da mußte Franziska lachen: "Hihihihi!"
Der fünfte Stock lachte: "Fffffffpfrrr!"
Sie feierten Abschied. Franziska mußte ja noch in den sechsten Stock.
"Hallo sechster!" Lächelnd begrüßte Franziska den sechsten Stock.
"Segelohren, Satansbraten. Saus ab, Sanziska!" Franziska sagte schon nichts mehr, sondern rannte die Treppen hoch in den siebten Stock.
"Hallo siebter!" Franziska zitterte.
"Sehe ich Sanziskas Sackgesicht, wird mir sauübel!"
Franziska war schon im achten, aber da erging es ihr kaum besser:
"Ameisen ärgern alle Angehörigen. Abwärts, Ausgestoßene!"
Dann noch der neunte:
"Nutzlose Neunmalkluge, nichtswürdige!
Und der zehnte:
"Zottige zahnlose Ziege! Zurück, Zranziska!"

Franziska ging mit hängendem Kopf die Treppen herunter. Nur als sie am fünften Stock ankam,
lächelte sie ein bißchen.

Draußen streckte sie sich auf dem Teppich aus - auf dem hatte sie nämlich das Haus aufgebaut -  stützte das Kinn in die Hände und dachte nach. Bald hatte sie die Lösung. Oder sie glaubte, sie zu haben.

"Bleib bloß stehen, du Haus!" rief sie.
 Sie sprang auf, schob die rechte Hand unter das Haus; mit der linken faßte sie an das Dach und - schwupps, drehte sie es um.

Dann ging sie wieder durch den Eingang hinein.

Das Erdgeschoß, das vorher der zehnte Stock war, sagte: "Entschwinde!"

Der erste Stock, der vorher der neunte gewesen war: "Entsetzlich".

Der zweite, der zuvor der achte war: "Ich zwick dich, zweifelhafter Zwischenfall!"

Der dritte, der ehemalige siebte Stock: "Dreistigkeit, du Dreckstück!"

Der vierte, der frühere sechste Stock: "Verschwinde, verstanden?"

Der fünfte, der vorher auch schon der fünfte gewesen war, flüsterte: "Franziska, fröhliche Fee, ich
bin dir verfallen!"

Der sechste, der vorher der vierte gewesen war: "Sumpfhuhn!"

Der siebte, der vorher der dritte gewesen war: "Sau!"

Der achte, der vorher der zweite gewesen war: "Abschaum!"

Der neunte, der vorher der erste war: "Nasenbohrerin!"

Der zehnte, der vorher das Erdgeschoß war: "Zwecklos. Zurück, aber zack."

"Schöner Mist!". Franziska ging die Treppen hinunter. Im Vorbeigehen streichelte sie den
fünften Stock ein bißchen.

Sie kam aus dem Ausgang und kratze sich am Kopf. Sie nahm das Haus auseinander und ließ nur den fünften Stock übrig.
Dann fing sie an zu schuften. Sie baute und baute, den lieben langen Tag, aber das, was sie wollte, bekam sie nicht hin. Sie hätte beinah geweint vor lauter Wut.
Am Abend kam ihr Vater nach Hause, blieb hinter ihrem Rücken stehen und sah ihr zu. Er kam beim besten Willen nicht drauf, was sie vorhatte.
Schließlich fragte er:

"Was baust du da, Franziska?"

"So einen Zehngeschosser, der nur fünfte Stockwerke hat."

"Nur fünfte Stockwerke?" Der Vater staunte. "Und wo ist das erste?"
"Ersetzbar".
Das zweite?"
"Zwangsläufig zwecklos."
"Das dritte?"
"Dünnschiß"
"Das vierte?"
"Verzichtbar"
"Das sechste?"
"Selber schuld"
"Das siebte?"
"Sag ich nicht!"
"Das achte?"
"Abgebrannt"
"Das neunte?"
"Nutzlos"
"Das zehnte?"
"Zerstört"

"Ja, aber nur mit fünften Stockwerken kann das gar nicht gehen!" meinte der Vater.
"Aber klar doch!" Franziska war sich ihrer Sache sicher.
Seitdem baut sie an einem Zehngeschosser, der nur fünfte Stockwerke hat. Keiner weiß, ob ihr das gelingen wird.
 


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