zurückaus: Ervin Lázár, Die siebenköpfige Fee
 

DIE KÖNIGSSÖHNE MIT DEN TEERHÄNDEN


Es waren einmal zwei Könige. Sie waren Nachbarn, zwischen ihren Häusern stand nur ein Lattenzaun. An einem Frühlingstag ging der Eine König in den Garten hinaus, um Karotten zu hacken. Als er aus der Tür trat, kam im gleichen Moment der Andere König aus dem Nachbarhaus.
"Guten Morgen!" sagte der Eine König freundlich.
"Grüß Gott!" antwortete der Andere König genauso freundschaftlich.
Sie waren immer freundlich zueinander, sie stritten sich niemals. Sie lebten schon lange Zeit nebeneinander. So lange schon hatten sie keinen Streit miteinander, daß der König, der im vierten Haus wohnte, schon bezweifelte, daß sie richtige Könige wären.
Sie schlenderten zum Zaun, schüttelten sich die Hände und fragten sich gegenseitig: "Was haben Sie vor, Herr Nachbar?" Jeder sagte: "Ich gehe Karotten hacken." Darauf mußten sie beide lachen, denn das ging schon seit Jahren so, als ob sie in der Nacht ihre Gedanken gegenseitig erraten hätten: Jeden Tag hatten sie das gleiche vor, und jeden Tag machten sie das auch. Das war ja auch kein Wunder: Immer dann hackten sie Karotten, wenn die Zeit gekommen war, ihr Weizen wurde zur gleichen Zeit reif, also mähten sie ihn zur gleichen Zeit. Zum Bäumefällen gingen sie zusammen in den Wald, denn Bäume fällt man im Winter - wann denn sonst?
Zur rechten Zeit waren ihre Töchter geboren, auch zur gleichen Zeit, und so kamen sie zur gleichen Zeit ins Alter, in dem sie heiraten sollten. Darüber sprachen sie beim Karottenhacken. Sie konnten in Ruhe darüber reden, die Karottenbeete waren beide nahe am Zaun, man mußte mit dem Hacken nicht aufhören.
"Wann verheiraten Ihro Hoheit Ihre Tochter?" fragte der Eine. Die beiden Könige nannten sich nämlich gegenseitig Hoheit. An sich bedeutet das gar nichts, denn so einen König gibt es auch, der den anderen König Hoheit nennt und sich dabei denkt: "Du Arschloch." Aber die beiden Könige, die sich gegenseitig Hoheit nannten, dachten sich dabei auch Hoheit.
"Tja, wohl bald" sagte der Andere, "es gibt schon drei Freier, die um meine Tochter bitten."
"Meine hat auch schon drei Freier" sagte der Eine, und sie besprachen, wer und was die Freier wohl seien. Natürlich waren alle sechs Jünglinge Königssöhne.
"Und Hoheit wissen schon, welcher von ihnen der beste ist?"
"Das freilich nicht. Und Ihro Hoheit?"
"Ich auch nicht."
"Und wie finden Sie den besten heraus?"
"Das weiß ich noch nicht, aber ich denke, man müßte sie auf die Probe stellen."
Darüber waren sie einer Meinung, nur konnten sie nicht entscheiden, was für eine Probe das sein sollte. Endlich beschlossen sie, sich am Nachmittag feierlich anzuziehen und die in der Nachbarschaft wohnenden älteren Könige zu besuchen, die ihre Töchter schon verheiratet hatten, und sie zu fragen, welche Proben sie aufgestellt hatten.
König Eisentreu sagte: "Man muß sie vor den siebenköpfigen Drachen stellen, und wer ihn besiegt, der bekommt das Mädchen."
"Und wenn alle drei ihn besiegen?" fragten die Könige.
"Dann eben vor den zwölfköpfigen, und wenn sie den auch besiegen, dann eben vor den vierundzwanzigköpfigen, und so weiter!" sagte Eisentreu.

Die beiden Könige brummelten, dankten trotzdem für den Rat, und schlenderten ein Haus weiter.

König Schatzratzfatz riet ihnen:
"Wer den größten Schatz anschleppt, dem gebt eure Töchter."

König Schädelquäl erzählte eine Rätselgeschichte:
"Gebt ihnen neun gleich aussehende Kugeln. Von den neunen ist eine ein wenig schwerer als die anderen, aber mit bloßem Auge sieht man das nicht. Wer mit einer Balkenwaage in zwei Wägungen herausfinden kann, welche Kugel schwerer ist, dem gebt eure Töchter."

König Schmuckeblick wunderte sich über ihre Frage. Wozu denn eine Probe, dem soll man seine Tochter geben, der der Schönste ist.

Als die beiden Könige nach Hause gingen, kratzten sie sich am Kopf.
"Tja, mit diesen Ratschlägen ist es nicht weit her."
"Wirklich nicht."
"Einer kann stark, reich und schön sein, aber was wird daraus, wenn er zum Beispiel faul ist?"
"Oder sogar böse."
"Eben" nickte der Eine.

So schieden sie voneinander. Zuhause formte jeder aus Brot neun kleine Kügelchen, von denen in eines eine kleine Münze eingeknetet war, dann nahmen sie eine Balkenwaage, und versuchten so das Rätsel von König Schädelquäl zu lösen. Noch Mitternacht saß ein jeder vor seiner Waage, aber keinem gelang es, die Lösung zu finden. Darauf warfen sie wütend die Kugeln und die Waage in die Ecke und dachten sich: Wozu brauche ich einen so schlauen Schwiegersohn, der das kann, was ich nicht kann.

Und so geschah es, daß sie sich erst einen Monat später sahen.

"Morgen ist bei uns Hochzeit" gab der Eine König zu verstehen.
"Bei uns auch" sagte der Andere. Und sie wunderten sich nicht, daß auch das gleichzeitig geschah, denn sie hatten sich inzwischen daran gewöhnt.
"Ich würde mich auch nicht darüber wundern," sagte der Andere König, "wenn wir uns zufällig wieder die gleiche Probe ausgedacht hätten."
"Aber ich habe mir etwas wirklich Schlimmes ausgedacht" sagte der Eine König. "Ich habe allen dreien die Hände vollgeteert."
Die Augen des Anderen Königs leuchteten auf. "Ich auch" sagte er. "Und ich habe ihnen gesagt, daß sie einen Monat später wiederkommen sollen, aber bis dahin dürfen sie sich nicht die Hände waschen."
"Genau wie ich."
"Und, wie war es, als sie wiederkamen?"
 "Tja" sagte der Eine König, "der erste stellte sich ein, und versteckte verschämt die Hand in der Hosentasche. Ich sage zu ihm: Na, zeig mal deine Hand her. - 'Seien Sie nicht böse, Ihro Hoheit' sagte er, und zeigte mir die Hand. Bis zum letzten Tropfen war der Teer abgegangen. 'Was hast du bloß gemacht?' frage ich ihn. "Wissen Sie, Hoheit, das Rad von meinem Wagen ist gebrochen' sagte er. 'Ja und?' - 'Ja, ich mußte ihn reparieren, wenn ich nicht einen Monat lang dort am Straßengraben sitzen wollte. Und als ich das Rad gerichtet hatte, waren die Pferde hungrig, ich mußte Heu machen - als ich nach Hause kam, wartete auf mich ein Haufen Arbeit. Ich mußte arbeiten. Der Teer ist dabei eben abgegangen."

"Haargenau so war es mit dem ersten Freier von meiner Tochter auch" sagte der Andere König, bloß ist nicht sein Wagen zusammengebrochen, sondern das Dach seines Hauses ist eingestürzt."

"Der zweite Freier" setzte der Eine König fort, "wollte auch lange Zeit die eine Hand nicht aus der Tasche nehmen. Ich dachte, anscheinend hatte er auch gearbeitet, und von seiner Hand wäre der Teer auch abgegangen. Dann, nach großem Drängen, holte er die linke Hand hervor. Kein bißchen Teer war abgegangen. Ich sage zu ihm, er soll die rechte Hand herausholen. Erst wollte er überhaupt nicht, dann überredete ich ihn, bis er sie herauszog. Von ihr war der Teer abgegangen. Er sagte nicht, warum er das getan hatte, aber später kam ich von selbst darauf. Anscheinend konnte er sich nicht vorstellen, was mir gefallen würde. Er dachte sich, wenn es nötig ist, zieht er die teerige Hand hervor, oder wenn die Sache anders verläuft, zeigt er die, von der der Teer abgegangen ist."

"Interessant!" sagte der Andere König. "Der zweite Freier meiner Tochter wollte auch betrügen. Aber nicht ganz so. Er steckte auch nicht die Hand in die Tasche, es schien so, als ob der Teer daran schwärzer wäre als ursprünglich. 'Hör mal' sagte ich zu ihm, 'das ist nicht der Teer, den ich dir vor einem Monat draufgeschmiert hatte.' Aber er behauptete, daß er es ganz sicher wäre. Schließlich kam es heraus: Den alten Teer hatte er abgewaschen, als er nach Hause gekommen war, und erst als er wieder zu uns kam, schmierte er den neuen drauf. Ja, und der dritte?"

"Der dritte wickelte die Hand aus einem Lumpen, und der Teer war noch genauso, wie ich ihn draufgeschmiert hatte. Er sagte, er habe ihn deswegen in einen Lumpen gewickelt, damit der Teer geschützt ist, und damit weniger davon abgeht."

"Haargenau so wie der bei uns!" rief der Andere König. Er sagte, seinetwegen kann alles zusammenkrachen, aber er will unbedingt meine Tochter haben. Deswegen hat er auf den Teer aufgepaßt.

 "Das ist ja interessant. Wenn ich nicht wüßte, daß es drei andere Jünglinge sind, würde ich glauben, daß es die gleichen wären wie bei uns."

"Ja, und welchen haben Hoheit nun als Ehemann erwählt?" fragte der Andere König mit großem Interesse?
"Gar keine Frage" lächelte der Eine, "den tüchtigsten. Den, für den die Arbeit das wichtigste ist, und der sich nicht darum kümmert, ob der Teer abgeht oder ob er draufbleibt."

Dem Anderen König blieb der M;">und offen. "Das ist ja interessant. Denn ich meine, der ist der Tüchtigste, der für meine Tochter lieber alles vor die Hunde gehen läßt, als daß er den Teer von der Hand abbekommt."

Seitdem streiten die Könige darum, wer von ihnen recht hatte.


zurück
Schriftgröße ändern? Schrift kleiner
Schriftgröße ändern? Schrift größer