aus: Ervin Lázár, Die siebenköpfige Fee
 

DIE SIEBENKÖPFIGE FEE

In ganz Mauslauswiesen gab es kein häßlicheres Kind als mich. Was rede ich da, auf allen fünf Kontinenten gab es kein häßlicheres Kind als mich. Meine Füße waren Klumpfüße, mein Bauch ein Faß, mein Kopf ein Kürbis, meine Nase ein Knollengewächs, mein eines Auge schaute nach links, das andere nach rechts, deswegen nannten mich die anderen Schielauge, Scheangelaug, Schielschädel, Schau-ums-Eck; ich hatte eine Hühnerbrust, war kurz und breit, meine Ohren waren Elefantenohren, ich hatte Hasenzähne, einen Buckel, eine Figur wie ein Klezenmandl.
So häßlich war ich.
Oder vielleicht noch häßlicher als das.
Deswegen schämte ich mich so wie keiner in Mauslauswiesen. Und die Wut kochte in mir, mich fraß der Zorn, mir lief die Galle über. Warum bin ich so häßlich? Warum? Für was? Für wen? Weshalb? Wozu?

In der Nachbarschaft wohnten zwei Musiker. Rechts Mauswiesner, links Lauswiesner. Mauswiesner konnte Flöte spielen, Lauswiesner nicht.

Mauswiesner sagte zu mir: "Du bist häßlich, aber trotzdem scheint auch auf dich die Sonne. Wenn du nur ein gutes Herz hast, vergißt du schon, daß du häßlich bist. Und davon wirst du auch schöner."
Aber ich wollte nicht gut sein. Ich wurde immer giftiger, verstohlener, verbissener, galliger.
Lauswiesner sagte zu mir: "Du siehst so scheußlich aus, daß man dich überhaupt nicht anschauen kann. Dich haben sie verhext. Sicher hat dich das siebenköpfige Monster verzaubert, das im Elfenland lebt. Das mußt du töten.
"Aber wenn es doch so schön singt!" sagte ich zu ihm.
Lauswiesner winkte ab. "Das ist ein heimtückischer Gesang. Damit lockt es seine Opfer in die Falle."

Dieses siebenköpfige Monster oder dieser siebenköpfige Drache oder diese siebenköpfige Hexe wohnte bei uns in der Nähe. Denn Mauslauswiesen liegt in der Mitte des Rechteckigen Rundwalds, und von hier ist es nur ein Sprung bis zu Ajachtan Kutarbanis holzgeschindeltem Palast, und bald hinter dem Palast beginnt Elfenland. Dort wohnt dieses siebenköpfige Irgendwas. Und abends singt es immer wunderschön. Siebenstimmig. Mit jedem der sieben Münder eine Stimme. Also das hat mich verzaubert. Seinetwegen bin ich so häßlich. "Na warte!" sagte ich mir. Ich beschloß es zu töten. "Das ist die einzige Möglichkeit" stimmte Lauswiesner zu, der Musiker, der so schlecht spielen konnte, daß er schon gar nicht mehr wollte, seine Flöte war sowieso aus massivem Gold und hatte nicht einmal ein Loch.
Von da an übte ich jeden Tag, um das siebenköpfige Monster zu besiegen. An den Montagen trank ich Drachenmilch, an den Dienstagen warf ich Speere, mittwochs war Schwertfechten dran, donnerstags die Streitaxt  freitags die Bäckerschaufel, samstags der Krummsäbel, sonntags mit Blut und Eisen.

Bald war ich stark genug, und eines Nachts ging ich gegen sie an. Mit Schwert, Lanze, Streitaxt, Bäckerschaufel, Krummsäbel, Blut und Eisen.
"Ich töte dich, du finsteres Unwesen, ich töte dich, weil du mich verzaubert hast!" knirschte ich zwischen meinen Zähnen hervor. Unter meinen Füßen verwelkte das Gras. Ich ging immer weiter: Stampf-stumpf! Wozu Gras! Über meinem Kopf weinten und knackten die Bäume. Ich ging immer weiter: Kricks-kracks! Wozu Bäume! Der Himmel seufzte, die Erde wimmerte. Ich ging einfach weiter: Zick-zack! Wozu Himmel! Wozu Erde!
Im Morgengrauen erreichte ich das Elfenland. Ich konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Doch da traf ich auf das Siebenkopf. Sie schlief unter einer Linde, alle ihre vierzehn Augen waren zu.

Ja, ich lief gegen sie an. Flutsch, schnitt ich ihr den ersten Kopf ab - als ob eine Seite gerissen wäre, die vom Himmel bis zur Erde reichte, erklang die ganze Welt. Da wachte sie auf, staunend starrte sie mich an mit ihren zwölf Augen. Ich hielt mich nicht auf und zisch! schlug ich ihr den zweiten Kopf auch ab! Düfte schwebten empor, Maiglöckchen, Minze, Thymian, Flieder und Narzissen dufteten. Sie griff mich an und wollte mich erwischen. Aber ich ließ nicht nach. Ich hatte große Mühe mit dem Schwert, der Lanze, der Streitaxt, der Bäckerschaufel, dem Krummsäbel, mit Blut und Eisen. Der dritte Kopf fiel - Quellen sprudelten hervor, Bächlein plätscherten.
Dann der vierte - goldene Haarfäden flatterten und verschwanden zwischen den Bäumen.
Dann der fünfte - ich hörte Glöckchen wie von einem Pferdeschlitten im Winter klingeln und leise verhallen.
Der sechste war sehr auf der Hut, er wand sich, schützte sich, aber er flüchtete nicht. Ich säbelte ihn ab. Da erklang eine Glocke, viele friedliche Kirchenglocken - immer leiser und leiser.
Aber dann, sie hatte mich erwischt! Sie drückte mich fest an sich, ich konnte mich kaum rühren. Sie drückte meinen Kopf an ihre Brust und ich hörte ihr Herzklopfen. Dupp-dupp klopfte ihr Herz. Und sie fragte mich:
"Menschensohn, was habe ich dir angetan?"

"Du kannst mich töten" sagte ich, "du kannst mich in Stücke reißen. Aber trotzdem ist es gut, was ich getan habe, weil du mich zu so etwas Häßlichem verzaubert hast. Ich bin der häßlichste Mensch auf Erden. Ich blickte auf und sah ihr in die Augen. Ihre Augen leuchteten wie ferne Sterne am Himmel. Ich sah ihr Gesicht. Der Spiegel gütiger Seen, die braune Ruhe der Erde, der Friede von Kirchen, die Schönheit von Wiesen im Mai - so war ihr Gesicht.
"Du Dummer, du Dummer" sagte sie mit Liebe. Sie küßte mich rechts, sie küßte mich links, sie liebkoste mich.
Sie tötet mich nicht, sie hat mich nicht verzaubert, sie tut mir nichts, sie liebt mich. Und schon weinte ich: Ich hatte ihr sechs Köpfe abgeschlagen!

Ich rührte mich nicht. Im Spiegel ihrer Augen sah ich mich selbst. Meine Beine waren gerade, mein Bauch glatt, mein Kopf nicht mehr schief, ich schielte nicht mehr, keine Schaufelohren, keine Hühnerbrust, keine Hasenzähne.
Ich fiel vor ihr nieder.
"Das verdiene ich nicht!" rief ich. "Zaubere mich wieder häßlich! Ich habe dir doch sechs Köpfe abgeschlagen. Wenn ich sie doch wieder ankleben könnte!"
Sie schüttelte den Kopf um zu sagen, daß das nicht geht. Sie lächelte. Da ging die Sonne auf und schien auf es. Da kam ich darauf, daß ich die Siebenköpfige Fee töten wollte, die gütigste Fee der Welt. In meinem Stumpfsinn hatte ich ihr sechs Köpfe abgeschlagen.
Was würde passieren, wenn der eine Kopf auch verlorengehen würde?
"Bitte laß mich dein Leibwächter sein, bitte laß zu, daß ich dich bewache!" sagte ich zu ihr.
Sie nickte.

Ich ging nie wieder zurück nach Mauslauswiesen, ich blieb dort, um die Fee zu bewachen. Heute bewache ich sie auch noch, mit Lanze, Schwert und Streitaxt, Bäckerschaufel und Säbel, mit Blut und Eisen.
Versucht bloß nicht, in böser Absicht näherzukommen. Ich lasse nicht zu, daß man ihr was tut. Denn ein Verrückter hat ihr sechs Köpfe abgeschlagen, nur einer ist ihr geblieben. Auf den einen müssen wir alle aufpassen. Mit Lanze, Schwert und Streitaxt, Bäckerschaufel und Säbel, mit Blut und Eisen. Und mit Liebe.


zurück

Schriftgröße ändern? Schrift kleiner
Schriftgröße ändern? Schrift größer