In ganz Mauslauswiesen gab es kein häßlicheres Kind als mich.
Was rede ich da, auf allen fünf Kontinenten gab es kein häßlicheres
Kind als mich. Meine Füße waren Klumpfüße, mein Bauch
ein Faß, mein Kopf ein Kürbis, meine Nase ein Knollengewächs,
mein eines Auge schaute nach links, das andere nach rechts, deswegen nannten
mich die anderen Schielauge, Scheangelaug, Schielschädel, Schau-ums-Eck;
ich hatte eine Hühnerbrust, war kurz und breit, meine Ohren waren
Elefantenohren, ich hatte Hasenzähne, einen Buckel, eine Figur wie
ein Klezenmandl.
So häßlich war ich.
Oder vielleicht noch häßlicher als das.
Deswegen schämte ich mich so wie keiner in Mauslauswiesen. Und
die Wut kochte in mir, mich fraß der Zorn, mir lief die Galle über.
Warum bin ich so häßlich? Warum? Für was? Für wen?
Weshalb? Wozu?
In der Nachbarschaft wohnten zwei Musiker. Rechts Mauswiesner, links
Lauswiesner. Mauswiesner konnte Flöte spielen, Lauswiesner nicht.
Mauswiesner sagte zu mir: "Du bist häßlich, aber trotzdem
scheint auch auf dich die Sonne. Wenn du nur ein gutes Herz hast, vergißt
du schon, daß du häßlich bist. Und davon wirst du auch
schöner."
Aber ich wollte nicht gut sein. Ich wurde immer giftiger, verstohlener,
verbissener, galliger.
Lauswiesner sagte zu mir: "Du siehst so scheußlich aus, daß
man dich überhaupt nicht anschauen kann. Dich haben sie verhext. Sicher
hat dich das siebenköpfige Monster verzaubert, das im Elfenland lebt.
Das mußt du töten.
"Aber wenn es doch so schön singt!" sagte ich zu ihm.
Lauswiesner winkte ab. "Das ist ein heimtückischer Gesang. Damit
lockt es seine Opfer in die Falle."
Dieses siebenköpfige Monster oder dieser siebenköpfige Drache
oder diese siebenköpfige Hexe wohnte bei uns in der Nähe. Denn
Mauslauswiesen liegt in der Mitte des Rechteckigen Rundwalds, und von hier
ist es nur ein Sprung bis zu Ajachtan Kutarbanis holzgeschindeltem Palast,
und bald hinter dem Palast beginnt Elfenland. Dort wohnt dieses siebenköpfige
Irgendwas. Und abends singt es immer wunderschön. Siebenstimmig. Mit
jedem der sieben Münder eine Stimme. Also das hat mich verzaubert.
Seinetwegen bin ich so häßlich. "Na warte!" sagte ich mir. Ich
beschloß es zu töten. "Das ist die einzige Möglichkeit"
stimmte Lauswiesner zu, der Musiker, der so schlecht spielen konnte, daß
er schon gar nicht mehr wollte, seine Flöte war sowieso aus massivem
Gold und hatte nicht einmal ein Loch.
Von da an übte ich jeden Tag, um das siebenköpfige Monster
zu besiegen. An den Montagen trank ich Drachenmilch, an den Dienstagen
warf ich Speere, mittwochs war Schwertfechten dran, donnerstags die Streitaxt
freitags die Bäckerschaufel, samstags der Krummsäbel, sonntags
mit Blut und Eisen.
Bald war ich stark genug, und eines Nachts ging ich gegen sie an. Mit
Schwert, Lanze, Streitaxt, Bäckerschaufel, Krummsäbel, Blut und
Eisen.
"Ich töte dich, du finsteres Unwesen, ich töte dich, weil
du mich verzaubert hast!" knirschte ich zwischen meinen Zähnen hervor.
Unter meinen Füßen verwelkte das Gras. Ich ging immer weiter:
Stampf-stumpf! Wozu Gras! Über meinem Kopf weinten und knackten die
Bäume. Ich ging immer weiter: Kricks-kracks! Wozu Bäume! Der
Himmel seufzte, die Erde wimmerte. Ich ging einfach weiter: Zick-zack!
Wozu Himmel! Wozu Erde!
Im Morgengrauen erreichte ich das Elfenland. Ich konnte kaum die Hand
vor Augen sehen. Doch da traf ich auf das Siebenkopf. Sie schlief unter
einer Linde, alle ihre vierzehn Augen waren zu.
Ja, ich lief gegen sie an. Flutsch, schnitt ich ihr den ersten Kopf
ab - als ob eine Seite gerissen wäre, die vom Himmel bis zur Erde
reichte, erklang die ganze Welt. Da wachte sie auf, staunend starrte sie
mich an mit ihren zwölf Augen. Ich hielt mich nicht auf und zisch!
schlug ich ihr den zweiten Kopf auch ab! Düfte schwebten empor, Maiglöckchen,
Minze, Thymian, Flieder und Narzissen dufteten. Sie griff mich an und wollte
mich erwischen. Aber ich ließ nicht nach. Ich hatte große Mühe
mit dem Schwert, der Lanze, der Streitaxt, der Bäckerschaufel, dem
Krummsäbel, mit Blut und Eisen. Der dritte Kopf fiel - Quellen sprudelten
hervor, Bächlein plätscherten.
Dann der vierte - goldene Haarfäden flatterten und verschwanden
zwischen den Bäumen.
Dann der fünfte - ich hörte Glöckchen wie von einem
Pferdeschlitten im Winter klingeln und leise verhallen.
Der sechste war sehr auf der Hut, er wand sich, schützte sich,
aber er flüchtete nicht. Ich säbelte ihn ab. Da erklang eine
Glocke, viele friedliche Kirchenglocken - immer leiser und leiser.
Aber dann, sie hatte mich erwischt! Sie drückte mich fest an sich,
ich konnte mich kaum rühren. Sie drückte meinen Kopf an ihre
Brust und ich hörte ihr Herzklopfen. Dupp-dupp klopfte ihr Herz. Und
sie fragte mich:
"Menschensohn, was habe ich dir angetan?"
"Du kannst mich töten" sagte ich, "du kannst mich in Stücke
reißen. Aber trotzdem ist es gut, was ich getan habe, weil du mich
zu so etwas Häßlichem verzaubert hast. Ich bin der häßlichste
Mensch auf Erden. Ich blickte auf und sah ihr in die Augen. Ihre Augen
leuchteten wie ferne Sterne am Himmel. Ich sah ihr Gesicht. Der Spiegel
gütiger Seen, die braune Ruhe der Erde, der Friede von Kirchen, die
Schönheit von Wiesen im Mai - so war ihr Gesicht.
"Du Dummer, du Dummer" sagte sie mit Liebe. Sie küßte mich
rechts, sie küßte mich links, sie liebkoste mich.
Sie tötet mich nicht, sie hat mich nicht verzaubert, sie tut mir
nichts, sie liebt mich. Und schon weinte ich: Ich hatte ihr sechs Köpfe
abgeschlagen!
Ich rührte mich nicht. Im Spiegel ihrer Augen sah ich mich selbst.
Meine Beine waren gerade, mein Bauch glatt, mein Kopf nicht mehr schief,
ich schielte nicht mehr, keine Schaufelohren, keine Hühnerbrust, keine
Hasenzähne.
Ich fiel vor ihr nieder.
"Das verdiene ich nicht!" rief ich. "Zaubere mich wieder häßlich!
Ich habe dir doch sechs Köpfe abgeschlagen. Wenn ich sie doch wieder
ankleben könnte!"
Sie schüttelte den Kopf um zu sagen, daß das nicht geht.
Sie lächelte. Da ging die Sonne auf und schien auf es. Da kam ich
darauf, daß ich die Siebenköpfige Fee töten wollte, die
gütigste Fee der Welt. In meinem Stumpfsinn hatte ich ihr sechs Köpfe
abgeschlagen.
Was würde passieren, wenn der eine Kopf auch verlorengehen würde?
"Bitte laß mich dein Leibwächter sein, bitte laß zu,
daß ich dich bewache!" sagte ich zu ihr.
Sie nickte.
Ich ging nie wieder zurück nach Mauslauswiesen, ich blieb dort,
um die Fee zu bewachen. Heute bewache ich sie auch noch, mit Lanze, Schwert
und Streitaxt, Bäckerschaufel und Säbel, mit Blut und Eisen.
Versucht bloß nicht, in böser Absicht näherzukommen.
Ich lasse nicht zu, daß man ihr was tut. Denn ein Verrückter
hat ihr sechs Köpfe abgeschlagen, nur einer ist ihr geblieben. Auf
den einen müssen wir alle aufpassen. Mit Lanze, Schwert und Streitaxt,
Bäckerschaufel und Säbel, mit Blut und Eisen. Und mit Liebe.