aus: Ervin Lázár, Die siebenköpfige Fee
 

DIE SOCKE UND DAS LOCH


Es war einmal eine löcherige Socke. In ihrer Jugend war sie nicht irgend so eine Socke, denn sie war aus hervorragendem Material gewoben, und ein fesches Muster zierte sie. Aber ach, jetzt war sie alt geworden. Und dann, dann hatte sie ein Loch bekommen. So ein eingebildetes, mit ausgefranstem Rand. Sie wohnten in der wackeligsten Schublade einer wackeligen Kommode, und da ganz unten.

"Ich bin schöner als du" sagte das Loch zur Socke.

"Wieso schöner?" wunderte sich die Socke. "Warum bist du schöner?"

"Weil man durch mich hinaussehen kann" sagte das Loch.

"Genau das" schulmeisterte die Socke, "ist das Schöne an mir, daß ich nicht durchsichtig bin - sieh dir mein wunderschönes blaues Muster an!"

"Dreckig bist du auch" spottete das Loch aus Rache für die Belehrung, "ich dagegen werde niemals schmutzig."

Darüber mußte die Socke nachdenken.

"Na eben!" sagte das Loch lautstark. "Du selbst siehst es ein. Außerdem ist es ungebührend, daß ich so klein bin und du so groß." Und auf einmal wuchs es etwas. Jetzt war von der Socke kaum mehr etwas übrig. Das Loch war größer als die übrige Socke.

"Du hast mich vollständig zugrundegerichtet" weinte die Socke.

"Freue dich, daß du mit so einem wundervollen Loch zusammenleben kannst" sagte das Loch überheblich, und wuchs noch größer.

"Oh weh, du tötest mich" rief die Socke, und das eingebildete Loch wuchs immer weiter, so daß von der Socke nichts mehr blieb. Aber als die Socke verschwunden war, war das Loch auch weg. Denn wenn es keine Socke gibt, gibt es auch kein Loch.


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